Portrait Anne Meinhardt de Alvarez

Perfektion ist eine Eigenschaft, die einen dort oben echt in den Wahnsinn treiben kann

Sommers findest Du Anne auf der Tegernseer Hütte, wo sie als festes Teammitglied dafür sorgt, dass hungrige Wanderer ausgeruht und gestärkt wieder ins Tal finden. In unserem Interview gibt sie spannende Einblicke in die oft fordernde Arbeit auf einer Berghütte und erzählt wie sie diesen außergewöhnlichen Job lieben lernte.

INTERVIEW

Wie lange arbeitest du schon auf der Tegernseer Hütte?
Ich hab zum ersten Mal 2006 im Herbst zwei Monate auf der Tegernseer Hütte gearbeitet, danach ein paar Jahre die Saison (Mitte Mai bis Anfang November) voll durch, und dann immer mal in Semesterferien, Übergangsphasen oder zum Aufbessern der Urlaubskasse. 2017 werde ich mal wieder die ganze Saison oben arbeiten.

Wie kam es zu der Entscheidung hier zu arbeiten?
Ein Schulfreund von mir hatte regelmäßig oben mitgeholfen und mir versichert, diesen Job werde er niemals hergeben. Er war dann später aber durchs Studium voll eingespannt und auf der Hütte war Not am Mann, und so hatte ich doch die Chance, reinzukommen.

Was hast du vorher gemacht bzw. was tust du in der Nebensaison?
Ich hatte vorher mein Abitur gemacht und war dann erstmal satt vom lernen. Ich bin dann in der Nebensaison oft in der Welt rumgetingelt, habe mir Australien, Afrika, Indien, Asien angeschaut, und hatte gehofft, auf irgendetwas zu treffen, was mich fesseln würde. Nach einem Semester Ethnologie wusste ich zumindest schon mal, dass es das nicht ist, und habe in einer Nacht und Nebel Aktion eine Mappe mit Zeichnungen für die Holzbildhauerschule in München zusammengestellt, wo ich überraschenderweise angenommen wurde.

Nach drei Jahren war ich also staatlich geprüfte Holzbildhauerin, bin danach für zwei Jahre als Lehrerin nach Ghana, später nach Venezuela, wo ich meinen jetzigen Mann kennengelernt habe. Um nun die Kurve zur Hütte noch zu kratzen: meinen Job in Venezuela habe ich kurzerhand im Urlaub hingeschmissen, um mit meinem Mann auf der Hütte zu bleiben. Es zieht mich irgendwie immer wieder dort hin.

Ich finde die Idee, ein halbes Jahr im Sommer das Konto zu rocken, und dann das andere halbe Jahr die Welt zu sehen, irgendwo bisschen kreativ zu sein, und den Kopf und das Herz anzufüllen mit Sachen, die man dann auf der Hütte wieder verdauen kann, sehr spannend. Da ich während der Saison auf der Hütte keine laufenden Kosten habe, bleibt am Ende der Saison tatsächlich auch genug für allerlei Projekte übrig…

Ist es so wie Du es Dir vorgestellt hast?
Das ist eine gute Frage. Was hatte ich mir eigentlich vorgestellt? Ich wusste, es wird irgendwie ein Gastro-Job, aber eben in einer traumhaften Umgebung. Eine lustige, kleine Familie, nette Kollegen und jede Menge Sonne, Berge, frische Luft…. Mehr wusste ich nicht. Es hat auch tatsächlich 2-3 Jährchen gedauert, bis sich die verliebte Bergromantik mal eingependelt hatte… Das lag zum einen daran, dass sich mit steigender Beliebtheit der Hütte auch die Arbeit oben veränderte, zum anderen ist auch der geilste Job der Welt im Endeffekt ein Job, das heißt, man arbeitet, um Geld zu verdienen.

Hatte ich anfangs das Gefühl, es gibt nichts Besseres, als der stressigen, hektischen Welt da unten zu entfliehen, merkte ich nach einiger Zeit, dass ich das Gefühl, meinen eigenen Weg zu gehen, oft gern mal kurz gegen “nach der Arbeit mit den Mädels in der Stadt ein Bierchen trinken” getauscht hätte… Der Zauber des Neuen, des Unbekannten war verflogen, und es fing an, kein verrücktes Abenteuer mehr zu sein, sondern einfach Arbeit. Inzwischen weiß ich, worauf ich mich einlasse, und freue mich auch dieses Jahr wieder, noch mehr hinter die Kulissen zu schauen, mehr zu verstehen: wir haben zum Beispiel eine sehr launische Materialseilbahn, die mit einem Dieselmotor angetrieben wird, da steht mal meine Jungfernfahrt an den Schalthebeln an…

Anne Meinhardt de Alvarez mit Kuh und Motorsäge

Worin besteht deine Aufgabe, wie schaut dein typischer Tag aus?
Ich schicke mal kurz voraus, dass das sehr wetterabhängig ist, aber ich beschreib mal den Gutwetterfall: ich stehe gegen 6:15 Uhr auf, gehe in die Küche und heize erstmal den Ofen ein. Dann fange ich an, das Frühstück für uns und die Übernachtungsgäste vorzubereiten. Da wir autark leben, kochen wir auf einem alten Holzofen, bzw. mit Gas. Unseren Strom kriegen wir über Solarpanels, weswegen wir sehr sparsam damit umgehen. Morgens um halb sieben heißt das im Klartext, dass wir 18 Liter Kaffee mit dem Wasserkessel aufgießen. Nebenbei schneide ich Brot auf und bereite Obst für Müsli vor. Gegen 7:00 Uhr frühstücken wir als Team, und ab 7:30 Uhr bis um 9:00 Uhr gibt es Frühstück für die Gäste. Währenddessen waschen wir Salat, schälen Kartoffeln, sprich, wir bereiten uns auf den Ansturm vor. Ab 10:30 Uhr kommen dann die ersten Gäste, meistens geht es dann bis 14:30 Uhr richtig rund.

In dieser Zeit hat jeder einen festen Posten, und lustigerweise ist der unbeliebteste Platz an der Spüle dort oben ausgerechnet mein Favorit. Es ist für mich total entspannend, Teller zu waschen, weil ich da ein bisschen abschalten kann, ist ja die letzte Station im Kreislauf eines an den Gast verkauften Essens (so ganz stimmt das allerdings nicht, weil ich nebenbei auch der Suppenkasper bin und da schon mit einem Ohr zuhören muss, was bestellt wird).

Es gibt neben dem Spülbuddha auch noch den Grillmaster, die Salatmamsel, den Thekenguru und den (im) Kreisläufer. Da wechselt die Besetzung unter der Woche oft mal, je nach dem, wer gerade ins Tal muss, um irdischen Angelegenheiten nachzugehen… Am Wochenende ist aber ein sehr fester (nur von aussen eventuell chaotisch anmutender) Ablauf angesagt, weil wir sonst die bis zu 400 Tagesgäste nicht satt kriegen würden.

Anne in der Küche

Unter der Woche so ab 15:00 Uhr schauen wir, was aufgefüllt, nachgekocht, geschnippelt werden muss, backen eventuell Kuchen, und genießen im Idealfall ein bisschen die Sonne auf der Terrasse, gehen laufen oder klettern… Um 18:00 Uhr putzen wir die Küche, ab dann gibt es für die Gäste nur noch eine reduzierte Karte. Unser Chef kocht dann oft etwas sehr leckeres, ausgefallenes für uns, und wir nähern uns dem wichtigsten Abendritual: dem gemeinsamen Abendessen. Danach folgt ein letzter Abwasch, kleine Vorbereitungen fürs Frühstück am nächsten Tag, und bis 23:00 Uhr warten wir dann bei Buch, Bier und Spiel darauf, dass die Gäste sich aufs Ohr hauen.

Was ist für Dich das Besondere an dieser Hütte?
Verglichen mit zwei anderen Hütten (Steinseehütte, Oberlandhütte), auf denen ich bisher gearbeitet habe, kann ich nur ganz laut rufen: BESTER CHEF DER WELT! Mir gefällt besonders die Wertschätzung, die wir jeden Tag erfahren von unseren Chefs Michel und Sylvia. Des Weiteren habe ich in meiner langen Erfahrung in der Gastro (ich arbeite seit meinem 15. Lebensjahr im Restaurantbereich) noch nie einen dermaßen hygienischen, auf Qualität bedachten Betrieb erlebt. Michel setzt auf frisches Essen, ohne viel Tamtam, ehrliche, gute Küche.

Anne Meinhardt de Alvarez mit Michi und Helen auf der Tegernseer Hütte

Ein weiteres großes Plus ist, dass ergebnisorientiert gearbeitet wird, und wir in der Küche uns so einspielen können, wie es je nach Teambesetzung am besten klappt, ohne dabei straffen Einteilungen folgen zu müssen. Dadurch fühlt man sich sehr frei in seiner Arbeit und kann sich gut dort einbringen, wo es Freude macht. Daraus ziehe ich persönlich sehr viel Energie: dass ich so arbeiten kann, wie es mir Spaß macht.

Was ist das Beste an deinem Job / an diesem Ort? Warum arbeitest du hier?
Vor 5–6 Jahren hätte ich gesagt: in den Bergen zu arbeiten, dort zu sein, wo andere erst zwei Stunden lang hin wandern müssen… Ein bisschen ist das auch immer noch so. Am besten finde ich aber inzwischen, dass ich vom Bett zum Arbeitsplatz eine Minute Arbeitsweg habe, und ich, während ich am Frühstückstisch sitze, Kaffee trinke und Zeitung lese, mir keine Gedanken machen muss, dass ich langsam los muss, denn ich bin ja eben schon an meinem Arbeitsplatz! Was mich aber auch immer noch total glücklich macht, sind die vielen verschiedenen Menschen, die zu uns hochkommen, und abends ein bisschen von ihren Leben erzählen. Es ist so spannend für mich, aus wie vielen verschiedenen Richtungen man sich dort oben begegnet, um im Idealfall den (für mich gefühlt 574. kitschigen, aber immer noch sauschönen) Sonnenuntergang gemeinsam zu erleben….

Was ist die größte Herausforderung bei Deiner Arbeit? Wie gehst du damit um?
Hm, das wechselt auch jedes Jahr… Im ersten Jahr war es meine Höhenangst. Dann hat mich mein guter Freund Korbi drei mal den Klettersteig hoch- und runtergetrieben, ist mit mir die Zwergerlrutschbahn geklettert und hat mir die Jägerschneit am Buchstein gezeigt: seitdem kann ich mich auf die Zaunpfosten auf der Terrasse setzten und die Beine in den 200m tiefen Abgrund baumeln lassen, und fühle mich einfach nur zu Hause.

Früher oder später kommt aber auch zwangsläufig der Hüttenkoller, den man meines Erachtens einfach durchstehen muss. Man fühlt sich dann eingesperrt, unfrei, die Sicht auf alles sonst so Schöne dort oben wird plötzlich düster, und die Eigenarten der Kollegen wiegen dann so viel schwerer als sonst…

Je nach Teambesetzung gehört natürlich auch ein gesundes Händchen in der Einarbeitung, sowie Toleranz und Offenheit dazu, im Zweifelsfall auch zu akzeptieren, dass man trotz der Nähe dort oben nur Arbeitskollegen bleibt, und eben keine dicke Freundschaft daraus wird. Besonders schwierig ist auch, dass man mit den Menschen, mit denen man den ganzen Tag in eventuell sehr stressigen Situationen gearbeitet hat, auch den Feierabend teilt. Man kann also nicht bei den besten Freunden mal kurz Dampf über die Arbeit ablassen und sich dann entscheiden, ob es nicht der Rede wert ist, oder ob man mal ein Gespräch anberaumt. Sondern man muss es schaffen, bei Unstimmigkeiten Klartext zu reden oder Ärger runterzuschlucken. Gott sei Dank überwiegen aber die Abende, an denen wir uns darüber freuen, einen weiteren Hammertag gemeinsam 1A gemeistert zu haben!

wegzehrung

Die größte Herausforderung, um das längere Zeit zu machen, besteht für mich aber darin, nicht das Wesentliche aus den Augen zu verlieren und jedes Jahr wieder mit neuer Frische und Neugier an die Arbeit zu gehen, sonst wird man denk ich pedantisch, kleinlich und zu perfektionistisch. Und vor allem sollte man sich trauen, immer mal wieder was zu verändern, um ein gesundes Verhältnis zwischen Routine und Innovation aufrecht zu erhalten. Aber das gilt denke ich für jeden Betrieb.

Welche Eigenschaften oder Vorraussetzungen muss Deiner Meinung nach jemand mitbringen um hier glücklich zu werden bzw. bleiben?
Oha. Gute Frage. Grundsätzlich ist die Arbeit da oben kein Hexenwerk, eigentlich kann da jeder in kürzester Zeit sehr gut reinkommen. Wichtig ist denke ich, dass man sich klar macht, dass die Arbeit und das Team im Vordergrund stehen, und persönliche Motive, der Talwelt zu entfliehen, eher zurückgestellt werden müssen. Da täuscht man sich anfangs denk ich ein wenig, weil Berge ja mit Freiheit, Ruhe, für sich sein verbunden werden.

Grundsätzlich helfen körperliche Fitness, Lust auf ein Miteinander, Teamgeist, Umsichtigkeit und Flexibilität sehr, sich in den Arbeitsalltag da oben zu integrieren. Selbstständigkeit und ein Auge dafür, wo gerade eine helfende Hand gebraucht werden könnte, wenn man selber gerade nix zu tun hat, sind auch super. Es gibt denk ich nicht DEN TYP Hüttenallrounder. Ich erinnere mich an super KollegINNen, die eigentlich Krankenschwester, Studentin Wirtschaftswissenschaften, Krankenpfleger, Fahrradmechaniker, Tontechniker, Abiturient, Musicaldarstellerin, Lebenskünstler (…die Liste ließe sich beliebig fortsetzen) waren, als sie dort gearbeitet haben… Manche nutzen es als Auszeit vom Alltag, für andere sind Saisonjobs der Alltag. Am allerwichtigsten ist es, dass es menschlich passt im Team, weil man eben der Bande dort oben nicht entkommt und deswegen einfach ein Teil davon werden muss! 🙂

Was hast du auf der Hütte über dich gelernt?
Ich musste mir eingestehen, dass ich von dem guten Menschen, der ich gern wäre, immer noch sehr viel weiter entfernt bin als ich dachte. Ich habe aber auch gelernt, dass es okay ist, Fehler zu machen, solange man dazu stehen kann.

Ein weiteres Thema, das in den Bergen ein stiller, aber absolut präsenter Begleiter ist, ist der stetige Wettbewerb: wer hat für welche Strecke wie lange gebraucht?, wer war wie viel eher da als der andere?, mei der schnauft aber, … schau mal, da schleichen die Zenbuddhisten wieder… Dadurch fühlte ich mich lange unter Druck gesetzt, meine “schlechten” Gehzeiten durch irgendetwas zu entschuldigen.

Inzwischen kann ich bewusst den Weg, die Anstrengung, die Erschöpfung genießen, ohne mithalten zu müssen. Zeit spielt für mich keine Rolle mehr, Genusswandern mit vielen “Fotopausen”, Einkehrschwüngen und Entdeckungen abseits der Route machen mich glücklich. Und wenn es mich mal nicht glücklich macht, sei´s drum: dann bin ich eben mal schimpfend, schnaufend und keuchend da hoch getrottet: “It is what it is..”

Welche speziellen Fähigkeiten musstest du dir aneignen um hier Erfolg zu haben? Welche sind obsolet geworden?
Diplomatie im Team, daran arbeite ich stetig, und ich denke, dafür hat man in so einem Mikrokosmos viele Möglichkeiten. Perfektion hingegen ist eine Eigenschaft, die einen dort oben echt in den Wahnsinn treiben kann. Wichtigste Fähigkeit bleibt aber: Sich selber nicht so ernst zu nehmen. Anderen ihre Eigenheiten lassen, sich selber auch Eigenheiten gönnen. Und immer mal wieder den eigenen Schweinehund überwinden, und bei 5 Grad und strömendem Regen trotzdem ne Runde laufen gehen…

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Anne

Willst Du mehr über Anne erfahren? Dann findest Du sie hier:

Anne Meinhardt de Alvarez
Holzbildhauerin, Musikerin…

Web: http://annemeinhardt.wixsite.com/anneswelt
E-Mail: anne.meinhardt@gmail.com
Musikvideo Anne aus der LateLine – Nur für heute Nacht


Könntest Du Dir vorstellen, ein halbes Jahr ab vom Schuss in den Bergen zu arbeiten oder hast Du diesbezüglich schon Erfahrungen gesammelt, die Du mit uns teilen möchtest? Dann schreib uns einen Kommentar oder eine E-Mail an contact@dustyboots.blog!

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5 Kommentare

Uli Schrempp 30. Oktober 2017 - 19:48

Hallo Sarah,
Jip, dort war ich auch schon mal, bin bei Regen und Wolken dort vorbeigekommen. Kann mir aber vorstellen, dass Licht und Panorama dort echt der Wahnsinn ist. In meinem Fall gab’s eine Nudelsuppe in der warmen Stube, das war auch lecker 😉
Grüßl
Uli

Antworten
Anne 11. September 2017 - 16:47

Hey Sarah, auf welcher Hütte warst du denn? Erzähl mal wie es so war….

Antworten
Sarah Assert 8. September 2017 - 22:39

Ich bin durch Zufall auf das Interview aufmerksam geworden. Anne redet mir großteils aus der Seele. Ich bin Abiturientin und habe gerade meine 1. Saison auf einer Hütte hinter mir. Es war eine super aufregende Zeit mit vielen Hochs und Tiefs.
Liebe Grüße Sarah

Antworten
Uli Schrempp 11. September 2017 - 20:40

Hallo Sarah!
Freut uns, dass Dir unser Interview mit Anne gefällt. Sie ist ja schon eine alte Häsin, was das Hütteln angeht. Auf welcher Hütte warst Du denn?
Grüßl
Uli

Antworten
Sarah 19. Oktober 2017 - 11:16

Hallo Uli und Anne,
ich war auf der Neuen Reichenberger Hütte in Osttirol. Die Hütte liegt auf fast 2600m Höhe. Ich habe dort super viele Erfahrungen gesammelt. Das Leben auf der Hütte ist, wie ihr sicher wisst, anstrengend aber auch wunderschön.

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