Alpenüberquerung vom Kleinwalsertal an den Lago Maggiore

Auf der Suche nach einem Sommerabenteuer kam ich auf die Idee zu sehen woher der Rhein kommt. Viele Jahre lebte ich direkt an seinem Ufer, aber dort ist er kanalisiert, breit und träge. Ich wollte wissen, wie der junge Rhein aussieht, wie er plätschert, welchen Weg er sich durch den Berg gegraben hat. So war bald die Idee der Alpenquerung vom Kleinwalsertal durchs Rheintal zum Lago Maggiore geboren.

Als ich die grobe Richtung und Route ausgetüftelt hatte ging es auch bald los: Ich wollte schon lange mal mit dem Zelt über die Alpen ziehen. Drum steckte ich mein kleines Biwakzelt ein und verzichtete dafür auf jegliche Hüttenreservierungen. Gegen den Kocher entschied ich mich aus Gewichtsgründen, wollte leicht und schnell sein – das brachte jedoch gerade zu Beginn einige Turbulenzen mit sich.

Sturm & Drang: Endlich raus!

Ende Juli war es dann soweit. Ins Kleinwalsertal kam ich mit Zug und Bus. An einem heißen Nachmittag begann ich meinen ersten Aufstieg zur Gemstalpe unterhalb des Widdersteins. Das war ein prächtiger Einstieg, denn die Allgäuer Alpen sind schon richtig hoch.

Im Zug: Käsesemmel & Brezel / Nachmittagssnack: Apfelstrudel / Abendessen: Käse und Nüsse


Das Infopaket zur Tour:

Alpenüberquerung vom Kleinwalsertal an den Lago Maggiore-Infopaket
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Im Juli trugen die Wiesen pralle Sommertracht: Ein einziges Blumenmeer rings um mich herum. Die Almenrunde im Lechtal ist eine wahre Freude gewesen – Blümlein auf der Wiese und hohe Berge am Horizont.

Herz, was willst Du mehr?

Im wilden Lechquellengebirge war die Hütte ausgebucht, aber ich durfte auf der Wiese zelten. Abends entlud sich ein kurzes Gewitter. Entspannt schlief ich ein, als plötzlich mitten in der Nacht mein Zelt wild zappelte: Ein Sturm war aufgezogen. Mit Fuß und Hand stützte ich das Gestänge gegen den Wind und war froh um den lockeren Boden, der das Wasser so gut aufnahm.

Letztlich blieb ich trocken – danke liebes Zelt!

Frühstück: Müsli / Mittag: 2 Kaspress-Knödel / Nachmittag: Würstelsuppe / Abendessen: ausgefallen

Weiter gings, von ruhig angehen keine Spur: ich wollte weiter kommen – die langen Tage ausnutzen. Schwupps war ich zum Mittagessen schon an der nächsten Hütte. Einen langen Abstieg später im Tal und nach einem Almdudler schon wieder beim nächsten Aufstieg ins Montafon.

Frühstück: Müsli / Mittagessen: Kartoffel-Gulasch / Abendessen: ausgefallen

Meinen Rhythmus finden

Mit den letzten Sonnenstrahlen erreichte ich den Campingplatz im Tal. So müde wie ich war hab ich mich gleich ohne Abendessen Schlafen gelegt, denn zurück ins Dorf wäre es zu weit gewesen. Beim Frühstück aber ließ ich mir Zeit: Ein süßes Teilchen für den Weg ins Cafe, Obst und Kaminwurzen vom Markt, frische Semmel vom Bäcker – ach, so lässt sich das Leben genießen.

Der folgende Aufstieg in der heißen Nachmittagssonne zermürbte mich trotzdem. Mit den letzten Sonnenstrahlen erreichte ich die Hütte, da dort schon Abendessenszeit für die Übernachtungsgäste war, bekam ich nur noch einen Apfelstrudel: sehr lecker mit Vanillesoße, leicht warm – hmmm. Danach schulterte ich meinen Rucksack und suchte mir kurz vor der EU-Außengrenze ein verstecktes Plätzchen.

Frühstück: Schleckereien / Mittagessen: Käse-Vesper mit Obst / Abendessen: Apfelstrudel

Gemütlich mit leichtem Kohldampf im Schlafsack sang ich Loblieder auf das Bergsteigeressen: eine warme, kohlenhydratreiche Verpflegung ist einfach elementar wenn es am nächsten Morgen weiter gehen soll. Meine letzte wirklich gute Mahlzeit lag schon zu lange zurück.

Eine wunderbare Nacht mit fantastischem Sternenhimmel und eine gute Portion Schlaf reichten nicht aus, mein Akku blieb leer: ich war fertig und lustlos. Irgendwann raffte ich mich doch auf und stieg schnurstracks in die Schweiz ab. In ersten Dorf kehrte ich direkt im Restaurant ein – den Rest des Tages verbrachte ich mit schlafen und essen.

Das Leben eines Faultiers kann so schön sein.

Am nächsten Morgen fühlte ich mich wieder aufgeladen, die Entdeckerlust war wieder da! Früh morgens war es noch kühl im Wald, da machte das Steigen Spaß. Am Wiesenkamm liegt verträumt der Grünsee in einer Mulde, so ging ich also frisch gebadet weiter. Beim Abstieg begegnete ich einem alten Herrn. Wir plauschten eine Weile, er wollte auch zum See. Er war doppelt so alt wie ich, aber in seinen Augen funkelte noch die gleiche Berglust wie bei mir – das erfüllte mein Herz.

Die Schweiz ist einfach schön, die kleinen Almhäuschen und Gärtchen. Im Tal folgte ich einem kleinen Flüsschen im schattigen Wald voller Moos und Farne. In der Nacht leuchteten die Berggipfel rum um Arosa, mit Böllerschüssen in den Tälern entstand mit dem Echo so was wie Minimal-Techno: So feiern die Schweizer ihren Nationalfeiertag.

Nach einer Woche Unterwegssein hatte ich nach dem Sturm und Drang meinen Rhythmus gefunden. In Mittelbünden konnte ich konstant nahrhafte Verpflegung sicherstellen, weil ich jeweils von Dorf zu Dorf wanderte, und so war der Nudelteller oder Laden nie weit entfernt.

Stromaufwärts

Die kommenden Tage wurden durch den Regen getaktet: nachmittags Gewitter und nachts Regen. So bin zwar unterwegs trocken geblieben, aber kaum stand mein Zelt, fielen schon wieder die ersten Tropfen. Langsam wurde aber trotzdem alles klamm im Rucksack.

Bei einem Campingplatz kam ich zeitgleich mit drei Radlern an. Alle hatten das gleiche Gefühl: Yeah, die Sonne kommt raus – Zeit zu trocknen. Nachdem wir die komplette Zeltwiese mit unseren Sachen belagert hatten, eröffnete der benachbarte Dauercamper den Feierabend mit einer Runde Bier – Tschakka! Der Zufall ist einfach wunderbar.

Lang ersehnt und voller Neugierde erreichte ich den Hinterrhein: Er war schwarz, das Sediment bringt er aus der Schlucht mit. In stetigem Auf und Ab führt der Steig im steilen Wald hoch über dem Fluss zur schmalsten und tiefsten Stelle der Rheinschlucht: der Viamala. Das Gestein ist dort sehr weich, der Hinterrhein gräbt noch.

Mal tiefer im Wald, bald näher am Fluss, wunderbare Badegumpen und rundgeschliffene Felsen – so geht es durch die zauberhafte Rofflaschlucht ins Heidi-Land. In den kleinen Dörfern – einst wohlhabend geworden im Speditionsgewerbe, jetzt im Ruhestand durch die Autobahn – scheint die Zeit irgendwie gemächlicher zu vergehen.

Ich besorgte mir einen tollen Käse und blieb die Nacht am Hinterrhein. Badete und trank aus ihm. Freute mich wie ein Kind, dass ich endlich da war – Der junge Rhein und ich! Natur pur: abends schwärmten Fledermäuse aus dem Bergmassiv, später zeigten sich wieder die Sterne, der Mond leuchtete mir durch die Nacht.

In dieser Nacht entschied ich mich, von meiner ursprünglichen Streckenidee abzuweichen, denn ich hatte eine andere Variante auf der Karte entdeckt: Sie führte mich tiefer in den Süden, also näher zum See.

Diese Flexibilität hatte ich mir beim Alpenüberqueren immer wieder gewünscht: Hab alles dabei und entscheide spontan. Mit meinem leichten Setup war das möglich, also auf zum Sentiero Alpino de Calanca!

Ab in den Süden

Ein weiterer Sonnentag kündigte sich an, damit auch wieder Hitze bis in die Höhe hinauf. Ich wollte zwei Aufstiege schaffen – daher die heutige Taktik: Früh starten, mittags lange Siesta, nachmittags nochmals los. Das ging gut, denn ich hatte noch Sonne bis halb neun abends.

Im nordseitigen Aufstieg blieb ich lange im feuchten Schatten, erst oben am Pass kam ich in die Sonne, dort entdeckte ich auch ein paar Alpenveilchen. Beim Abstieg ins Dorf San Bernadino schlenderte ich durch ein weites Hochtal, das mich sofort an die Anden in Peru erinnerte. Mit leichtem Herzen war ich pünktlich zur Mittagsrast im Dorf: Im Gasthof gab es Nudeln, den Nachmittag lag ich im Schatten einer Tanne. Das WLAN des Gasthofs erreichte mich noch – wunderbar.

Der zweite Anstieg hinauf zum Refugio Pian Grande auf rund 2.500m ist fordernd. Am späten Nachmittag war es zwar noch warm, aber die Sonne brannte nicht mehr. Mein Plan ging auf: zwar schweißtreibend, aber angenehm.

Oben genossen noch andere Wanderer mit mir diesen Sonnenuntergang, die beiden Hüttchen waren ausgebucht. Aber selbst wenn im Refugio noch Platz gewesen wäre – ein Dach überm Kopf war mir schon fremd geworden: ich wählte die Holzbank hinter der Hütte zum Schlafen.

Ich war nun auf einem der wildesten und kühnsten Höhenwege in den Alpen unterwegs: dem Sentiero Alpino de Calanca. Dieser Steig wurde erst in den 80er Jahren erträumt und mit viel Enthusiamus erschlossen. Er ist einfach der Hammer! Und die Seen erst. Und im Zirbenwald: alles voller Heidelbeeren!

Der Sentiero Alpino de Calanca gehört zu den Perlen des alpinen Trekkings: er verbindet uralte Alpwege und unscheinbare Wildwechsel in teilweise schwierigem und steilen Gelände zu einem großartigen Höhenweg, immer knapp unterhalb des Grats.

Das Calanca-Tal liegt verträumt zwischen den beiden Transit-Tälern (Gotthard, San Bernadino) und erfreut sich nach wie vor einer unberührten Wildheit. Auf meiner – der westlichen – Talseite wurde der Almbetrieb schon lange aufgegeben, hier wächst die Wildnis sogar wieder.

Nach einem langen Tag mit vielen unglaublichen Übergängen durch steilstes Schrofengelände, wo man eigentlich nur Gemsen erwartet, kam ich zur kleinen Biwakhütte Rifugio Ganan. Die Sonne stand wieder hoch und selbst auf knapp 2.500m wurde es richtig heiß. Am späten Nachmittag kam ich zum Herzlisee und genoss ein ausgiebiges Bad um mich zu erfrischen und wieder runterzukühlen.

Abends erreichte ich die super urige Capanna Buffalora. Dort durfte ich zum Abendessen bleiben. Zum Schlafen verzog ich mich auf eine kleine Bergschulter zwischen knorrigen Zirben in die Heidelbeerbüsche.

Einen letzten Tag lang wanderte ich der Bergkette entlang durch uralte Zirbenwälder, feuchte Täler und kraxelte durch einen großen Graben. Langsam kam ich immer tiefer, die Landschaft wurde milder und grüner. In der gleißenden Nachmittagshitze badete ich im Dorfbrunnen in Santa Maria de Calanca. Bei mehreren eiskalten Rivellas realisierte ich langsam angekommen zu sein.

Der Bus brachte mich die letzten Kilometer an den Lago Maggiore. Tags darauf brachte das Schiff die Christiane. Endlich wieder vereint genossen wir das Dolce Vita in Italien.

Fazit

Auf der Route durch die Lechtaler Alpen durchs Montafon und Graubünden geht es gleich mit einem alpinen Crescendo los: die Berge sind hoch, die Etappen lang und fordernd. In der Schweiz angekommen, werden die Etappen kompakter, die Nähe zu den Dörfern macht die Versorgung leichter.

Nach der wunderbaren Mittelbündner-Bergwelt wandelt sich die Tour abermals, sie folgt dem Wasser die große Rheinschlucht hinauf. Nach einer halben Woche einfacher aber wunderschöner Wanderungen erreicht man das Heidi-Land um Splügen kurz vor dem San Bernadino-Pass. Der einsame Übergang in den Süden und der Abschluss auf dem spektakulären Sentiero Alpino de Calanca bilden den fulminanten Abschluss dieser Alpenüberquerung.

14 spannende Tage berauschender Berge konnte ich genießen, wenngleich ich mich zu Beginn nicht gut ernährt hatte. Aber die Bergwelt der Schweiz und der junge Rhein haben meine Akkus schnell wieder aufladen lassen. Täglich grüßte mindestens ein Murmeltier, ich konnte in Bächen, Flüssen und verträumten Seen baden.

Die spontane Entscheidung für den Höhenweg im Calanca-Tal war ein Glückstreffer. Durch das Camping-Setup war ich immer draußen, nachts bettete ich mich auf Pachamama – sie zeigte mir die Sterne.

Diese Strecke über die Alpen dauert gut zwei Wochen und passt somit auch mit Pausen- und Regentagen in jeden Sommerurlaub. Die ideale Wanderzeit ist Ende August/Anfang September.


Das Infopaket zur Tour:

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